Kommentar zur Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens im Erzbistum München am 20.01.22
Was würde ich heute meinen Kolleg:innen, meinen Schüler:innen sagen, nach der gestrigen Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens im Erzbistum München?
Ich schäme mich zu einer Täter(*hier enthalte ich mich mal bewusst des Genderns)-Organisation zu gehören, die sich selbst in erster Linie schützt und ein perfides Machtsystem aufrecht erhält, das so viel Vertuschung und Verdrängung möglich gemacht hat und möglich macht.
Klar wir haben Präventionsmaßnahmen eingeleitet: so habe ich gerade gestern mein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis (alle 5 Jahre eingefordert) beantragt, nehme an Präventionsschulungen teil und habe fest in das freiwillige Mentoratsangebot ein einmal jährlich stattfindendes Präventionswochenende implementiert.
Ich setze mich dafür ein, dass es in den Bereichen, für die ich verantwortlich bin, diversitätsbewusster zugeht, gebe Acht auf meine Sprache und versuche Studierende hier ebenfalls zu sensibilisieren. Aber reicht das?
Für mich reicht das nicht. Mir ist es in meiner nun mehr als 60jährigen Mitgliedschaft in der römisch-katholischen Kirche sowie in meiner mehr als 30jährigen beruflichen Tätigkeit in dieser Institution wichtig geworden, dass ich mir keine Denk- und Frageverbote mehr erteilen lasse. So gehört zu meinem persönlichen Credo, dass ich denke,
- dass allen Geschlechtern Ämter in der Kirche zustehen
- dass es der sexuellen und geistlichen Selbstbestimmung bedarf und nicht einer hierarchisierten Bevormundung durch ernannte Glaubenswächter (auch ohne Genderstern!)
(entsprechend darf es auch keine Zulassungsbeschränkungen für queere Menschen geben, wie dies derzeit in den MISSIO-Kriterien noch der Fall ist)
- dass es der interkonfessionellen Mahlgemeinschaft und des offenen interreligiösen Diskurses bedarf
- dass Leitlinie unserer Praxis sein sollte, unsere Mit- und Umwelt so zu behandeln, wie G*tt es uns erfahren lässt:
Du liebst nämlich alles, was ist, und verabscheust nichts von dem, was du gemacht hast. Würdest du nämlich etwas hassen, hättest du es nicht bereitet. Wie könnte etwas Bestand haben, wenn du es nicht gewollt hättest, oder wie wäre etwas, das du nicht ins Dasein gerufen hast, bewahrt geblieben? Alles schonst du, weil es dir gehört, du Macht, die das Leben liebt. (Weisheit 11,24-26)
Anita Zucketto-Debour