Unausgesprochen verkümmert Glaube vor aller Öffentlichkeit
Wege zur Sprachbefähigung des Glaubens
Von Christoph Stender
Erschrocken
Der christliche Glaube kommt im deutschsprachigen Raum primär nicht nur deswegen abhanden, wie Karl Rahner SJ im ausgehenden 20.Jh. noch prognostizierte, weil der Gläubige kein Mystiker[1] geworden ist, sondern weil die Fähigkeit vernünftig und emotional vom Glauben zu sprechen besonders jungen Christen mangels entsprechender Lernorte nicht (mehr) möglich ist und somit immer weniger vom Glauben erzählt wird. In Folge wird es für zukünftige Generationen kaum noch was vom Glauben zu hören geben! Die Weitergabe des Glaubens und so der Glaube selbst verkümmern hinter der Wort- und Sprachlosigkeit.
Nachdenken
In diesem Artikel möchte ich in die Zukunft blickend über existentielle Wesenszüge des christlichen Glaubens und derer nachdenken, die zukünftig Glaubensgemeinschaft (Erzählgemeinschaft/Kirche) sein könnten. Deswegen wird hier kein Trauergesang angestimmt über das, was früher einmal alles besser gewesen sein mag, wie zum Beispiel übersichtlichere Gemeinden, mehr Priesterweihen, besser besuchte Gottesdienste, lebendigeres Gemeindeleben usw. Hier geht es darum, den immer schon existentiellen Wesenszug der Glaubensgemeinschaft der Christen, wie er weltweit von Gültigkeit ist, im deutschsprachigen Raum zukunftsfähig zu machen: die Weitergabe des Glaubens im Wort.
Fakt ist: Der christliche (ausgesprochene) Glaube kommt unserer westlichen Gesellschaft immer mehr abhanden. Das lässt sich u.a. festmachen an äußeren Faktoren wie Kirchenbesuch und Gemeindezugehörigkeit, an emotionalen Faktoren wie Patchwork- Mentalität in Sachen Glaubensgut sowie an kognitiven Faktoren wie dem abnehmenden Wissen über Religion und deren Vollzug. Dies belegen Studien[2], die in ihren Detailerkenntnissen verschieden sind, in ihrer Richtung aber eindeutig: zunehmende Distanz zu kirchlichen Institutionen und eine Abnahme persönlicher Bindungen an (herkömmlichen) Ausdrucksformen des Glaubens. Klar, das ist nichts Neues.
Fakt ist aber auch: Etwa die Hälfte der Deutschen glauben[3] an einen Gott, ohne dass damit automatisch eine kirchliche Bindung einhergeht. Lauteten noch bis in die 2010er Jahre die Gründe, Distanz zur Kirche zu halten, z.B. ihre Weltfremdheit, die Missbrauchsskandale, steigende Unglaubwürdigkeit, das Limburger Bischofshaus und verkrustete Hierarchien, so muss in den letzten Jahren zunehmend zur Kenntnis genommen werden: „Nicht-Gläubigkeit als solche ist bekenntnisfähig geworden.“[4]
Feststellen
Wir können unterschiedlicher Auffassung sein wie der christliche Glaube gedeutet, ausgelegt oder interpretiert werden kann. Wir können darüber streiten welche Passagen der Heiligen Schrift besonders wichtig sind und welche nicht. Wir können unversöhnlich geteilter Meinung darüber bleiben ob viel oder weniger Theorie, Liturgie, Praxis und Gefühl zum Glauben dazugehören. Eine Tatsache aber bleibt unbestreitbar, eine die wir gemeinsam haben, über die man eben nicht streiten kann: Unser Glaube kommt „vom hören“.[5] Allen Christinnen und Christen ist gemeinsam, dass ihrem Glauben vorrausgegangen ist (und vorrausgeht), von ihm gehört zu haben, etwas erzählt bzw. ihn vermittelt bekommen zu haben.[6]
Die Wurzeln des Christentums, eingebettet in den Mutterboden des Judentums, wurden von Anfang an genährt von einer Erzählkultur: einander mitteilen, miteinander sprechen und miteinander streiten (disputieren). Jesus war ein Erzähler, von dem erzählt wurde.
Ein vertrautes und „aktuelles“ Beispiel: „Am gleichen Tag waren zwei von den Jüngern auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist. Sie sprachen miteinander über all das, was sich ereignet hatte (…)“. Die ganze Story (Lk 24,13-19) erzähle ich nun nicht, denn sie haben bestimmt gehört wie es weitergeht, oder?
Geschichte
Die ersten Christen begründeten eine Gemeinschaft, die primär als Erzählgemeinschaft zu charakterisieren ist, kraftvoll überliefert u.a. in der neutestamentlichen Erzählung „vom Weg nach Emmaus“. Die Kraft der christlichen Botschaft konnte sich nur in dem Erzählten, dem mit-geteilten Wort entfalten. Würde die christliche Botschaft nicht eingekleidet in das Wort, sie bliebe ungehört, und das wäre unerhört.
Die Kraft der christlichen Botschaft hat sich in vielen Kommunikationsformen entfaltet, so auch im Streit, oder besser gesagt in der Disputation, dem öffentlichen Wortkampf. Für eine Streitkultur in der Geschichte des Christentums sei exemplarisch das Apostelkonzil von Jerusalem (44-49 n. Ch.) genannt, in dem auch um die Zugehörigkeit zu Christus auf dem Fundament der jüdischen Überlieferung (Tradition) gerungen wurde (Gal. 2,1-10; Apg 15).
Die Disputation ist eine wichtige Kommunikationsfigur der Erzählgemeinschaft, wenn es darum geht den Glauben weiter zu geben der besagt: „zu Jesus Christus gehören und von seinem Heiligen Geist erfüllt sein (vgl. Hebr 3,14 und 6,4), und sich so in Gottes Liebe geborgen zu wissen“, so dass „man nicht mehr aus der Angst um sich selbst leben muss“.[7]
Von diesem Glauben spricht das Neue Testament als von einem, der weitergegeben werden will (vgl. Mt 28,19; Apg 4,20; Röm 10,10). „Deshalb gehört zum Glauben die Bereitschaft, über ihn Rechenschaft zu geben (vgl. 1 Petr 3,15). Wenn es aber überhaupt möglich ist, den christlichen Glauben zu verantworten, dann muss dies daraufhin auch in wissenschaftlicher Weise geschehen können.“[8]
Vernünftig
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Glauben leisten die Fachdisziplinen der Theologie, und zwar historisch wie systematisch. Allerdings ist sie nicht isoliert zu verstehen, sondern im Kontext anderer Wissenschaften. Zur Wissenschaftlichkeit der Theologie gehört „dass sie sich den Anfragen und Einwänden anderer Wissenschaften auf deren eigenem Feld stellt.“[9]
Dazu muss die Theologie sich die Fachsprachen anderer Disziplinen aneignen, um auf die Fachsprache anderer Wissenschaften bezogen überhaupt reagieren und agieren zu können. Diese Notwendigkeit hat aber auch zur Folge, dass die theologische Wissenschaftssprache sich bis zur Unverständlichkeit entfernt hat von der Alltagssprache derer, denen es täglich in den Straßen „aufs Maul“ zu schauen gilt. Diese sprachliche Verschiedenheit muss dahingehend überbrückt werden, dass hohe Theologie in Alltagssprache „zurückübersetzt“ und in ihr interpretiert werden muss von Übersetzern, die beider Sprachniveaus mächtig sind. Das bedeutet nicht die Wissenschaftssprache so zu „kastrieren“ dass daraus ein „Theologiechen“ für Dummies gebastelt, sondern ein am alltäglichen Leben reflektiertes und orientiertes Sprechen über den Glauben in der Verantwortung eines jeden Gläubigen ermöglicht wird.
Den Gläubigen soll von den Theologiebetreibenden die eigene Rechenschaftskompetenz ihren Glauben betreffend und deren Vermittlung nicht abgenommen werden, „wohl aber sollen ihnen Umwege und Missverständnisse erspart werden.“[10]
Weitergabe des Glaubens bedeutet neben dem Hören des Wortes auch das Verstehen dessen, was das Wort einkleidet.
Sprachleere
Lehramtsstudierende der katholischen Theologie, das habe ich in meiner Tätigkeit als Mentor[11] erfahren, sind Beleg dafür, dass sie Theologie als Wissenschaft kaum verbinden können mit ihrem persönlichen Glauben. Dies führt dazu, dass sie sich schwer tun, ihren Glauben in aufeinander folgenden Sätzen zum Ausdruck zu bringen, weil ihnen zum einen die entsprechenden „Vokabeln“ ebenso fehlen wie die Übung, über ihren Glauben zu sprechen. Oft fühlen sich diese Studierenden am Ende ihres Studiums mit der Weitergabe des Glaubens überfordert, weil ihnen keine Lernfelder des Sprechens angeboten wurden. Es kann nicht Ziel der Theologie sein, wissende Sprachlosigkeit zu hinterlassen.
Lerne Sprechen
Die Begleiterinnen und Begleiter Jesu, so auch die jungen christlichen Gemeinden, mussten erst lernen, über das zu sprechen, was sie mit Jesus, den sie als Christus bekannten, erlebt haben bzw. später von ihm gehört hatten.
Lernen bedeutet hier nicht (nur), die erzählten Gegebenheiten wortgetreu wie überliefert nachzuerzählen, sondern die erzählten Gegebenheiten (Daten) in ihrem Kontext zu verstehen, das Verstandene und Empfundene an sich selber heranzulassen und das so Erfahrene durch die Reflexion und entsprechend der eigenen Sprachkompetenz weiterzugeben, also ins Wort zu kleiden. Die Herausforderung des Lernens war (und ist), das Gehörte durch das eigene Erleben hindurch in „neuer“ Sprache aus zu drücken.
Für diesen Prozess gilt: „Die Sprache ist das Medium, in dem sich das Lernen überwiegend vollzieht. Denken, Handeln und Verstehen sind von Sprache begleitet und beeinflusst und entwickeln sich (…).“[12]
Mit dem Ereignis Jesus Christus, der erlebbaren Erdung Gottes, galt für die ersten Zeugen auf dem Hintergrund ihrer jüdischen Tradition, aber auch für Menschen der damaligen Zeit mit anderer Traditionen, diese „Weltneuheit Jesus“ zu erschließen, und das ging nur über das Erlernen einer ausdrucksstarken Sprache, denn „die Sprache ist das eigentliche Instrument menschlichen Weltverständnisses und menschlicher Weltbemächtigung.“[13]
Diese Erkenntnis macht deutlich: „Sprachliche Arbeit ist demgemäß unmittelbar gedankliche Arbeit und nicht ein nachgeordnetes Verfahren.“[14] Erschließen und Sprechen, Sprechen und Erschließen sind notwendige Instrumente des Verstehens und so der christlichen Verkündigung.
Erfahrung
Erlauben Sie mir einen ganz persönlichen Einschub. Es ist unbestritten, dass auch ich meinen Glauben vom Hören habe. Mir wurde erzählt und vermittelt von Eltern und Großeltern, in der Schule und im Leben mit der Pfarrgemeinde, natürlich auch später im Studium und bis heute in meiner Berufstätigkeit. Über die Qualität dessen, was ich von Glaube und Kirche im Kindes- und Jugendalter „mit – bekommen – habe“ kann ich heute keine umfassende Rechenschaft mehr ablegen. Allerdings bin ich mir sicher, wenn wir in unserer Familie ausdrücklich über „Religiöses“ gesprochen haben, dann wohl eher über die Kirche und die Pfarrgemeinde vor Ort und die dort Aktiven, aber weniger (bis gar nicht) über unseren persönlichen Glauben an Gott und Jesus Christus.
So wie ich mit meinen Eltern nicht über Gott gesprochen habe, so haben wir auch nicht über die Erlebnisse meines Vaters als Soldat im 2. Weltkrieg gesprochen, und Sexualität war bei uns zu Hause mir gegenüber auch irgendwie kein Thema. Nur dass die Story mit den „Vögelchen auf der Kirchentreppe“ nicht stimmt, das hat mein Opa kurz und schmerzlos in nicht einmal einer Minute beim Warten auf das grüne Signal vor roter Ampel klar gemacht.
Fakt aber ist: Meine Familie aber auch andere Menschen haben in mich durable Anfänge einer Glaubensfährte gelegt, der ich heute noch nachgehe und mit der ich auch heute noch „weiter“ auf der Fährte bin. Das Entscheidende ist, dass diese Fährte (in mich) überhaupt gelegt worden ist, unabhängig von der inhaltlichen Qualität. Mein Leibgedächtnis lässt mich heute ahnen, dass diese Anfänge einer Fährte sehr stark von Emotionen umgeben waren, in einer „geschaffenen Atmosphäre der positiven Annahmemöglichkeit“ eines Gefühls für Gott und Jesus Christus.
An einem besonderen Ereignis in meiner Jugend kann ich heute noch festmachen wie die eher anfänglich emotional eingefärbte Fährte meinen Kopf in Beschlag nahm. Ich war so 16 Jahre alt und Messdiener in meiner „Heimatgemeinde“ (nach alter Lesart) in Liebfrauen Krefeld, als zwei Dominikanerpatres, Rudolf Stertenbrink und Romuald Rock (*15.2.1926 †10.12.1996), in unserer Pfarrkirche eine Gemeindemission[15] abhielten, deren Schwerpunkte die Predigten waren mit anschließendem Gespräch. Mit einem Jugendfreund teilte ich damals die Begeisterung besonders für Pater Romuald, der es verstand uns den Glauben zu erklären. Seine Sprache, seine Bilder und seine Authentizität fesselten uns, da wir spürten: Wir waren gemeint.
Und als junge Menschen fühlten wir uns selber in der Lage, natürlich mit Anleitung und Unterstützung, über unserem Glauben nachzudenken und nachzusinnen. Unsere Begeisterung mündete in den nicht ganz ernst zu nehmenden Plan, Pater Romuald in einen geräumigen und bunt angestrichenen Käfig mit offener Türe zu „sperren“, damit seine Rede uns immer zur Verfügung stehen würde.
Die Möglichkeit fundierter, mit Emotion und Verstand Theologie zu betreiben bot sich in meinem ersten Studium der Religionspädagogik in Paderborn u.a. mit dem Fundamentaltheologen Prof. Klaus Hollmann. Anschließend, in meinem zweiten Studium der Theologie bei den Jesuiten in St. Georgen und dem hier besonders hervorzuhebenden Pater Peter Knauer. Später trugen dazu persönliche Begegnungen mit meinem damaligen Heimatbischof Prof. Dr. Klaus Hemmerle (*1929 –1994†) bei. Bischof Klaus war für mich die stärkste Ermutigung, über meinen Glauben mit Engagement und Verstand frei zu sprechen, weil er selbst aus sich heraus sprach und mich zur „Nachahmung“ ermutigte.
Entscheidend für mich und meine Tätigkeiten war es zu lernen, vom Glauben zu sprechen und über den Glauben „nach–denkend“ Rechenschaft zu geben. Noch heute entfalte ich mein Sprechen über den Glauben, meine eigene Sprache weiter und verbinde dies dankbar mit den Namen der Menschen, die mir Lehrer waren. Diese Persönlichkeiten waren selbst und mit ihnen verbinde ich über sie hinaus Orte, an/in denen ich den „Frei–raum“ hatte, mit Verstand und Herz zu lernen, über meinen eigenen Glauben im Bezug zur Glaubensgemeinschaft der katholischen Kirche zu sprechen. Sie eröffneten mir Lernräume des Sprechens über den Glauben, ohne die mein Glaube in der Sprachlosigkeit gelandet wäre.
Mit diesen Lernräumen des Sprechens verbinde ich untrennbar auch meine Persönlichkeitsentwicklung und meine Identitätsfindung, da diese Lernräume nicht nur „ein“ Sprechen „über“ den Glauben förderten, sondern „mein Sprechen von und mit ihm“.
Aufhorchen
Die Bedrohung des Christlichen Glaubens ist in ihm selbst grundgelegt, einer Wortreligion, der die aktualisierenden und deutenden Worte ausgehen. Die christliche Botschaft kommt abhanden, weil die Fähigkeit, vernünftig und emotional von ihr zu sprechen, Christen mangels entsprechender Lernorte nicht (mehr) möglich ist. So stirbt nicht Gott, aber zunehmend sterben Gottesbezüge und „Quellen für das Leben“, wie sie uns z.B. in der Bergpredigt erzählt wurden. Kennen Sie ja vom Hören (Mt 5,1-7.29).
Umstände
„Nicht-Gläubigkeit als solche ist bekenntnisfähig geworden.“[16] Diese oben schon erwähnte Tatsache zeigt an, dass in unserer religiös plural ausgerichteten Gesellschaft das Interesse am Christlichen weiter abnimmt. Das Christliche stört viele einfach auch schon gar nicht mehr, man kann es folgenlos übersehen. In den Medien ist Glaube und besonders Kirche ein Thema unter vielen und kommt mal gut, meistens allerdings eher schlecht weg. Gerade wenn junge Menschen heute laut sagen, dass sie mit Kirche etwas am Hut haben, die christlichen Werte schätzen und von Nächstenliebe was halten, laufen sie Gefahr, als weltfremd eingestuft zu werden. Das macht es besonders jungen Menschen nicht leicht, Lust daran zu empfinden ihren Glauben ins Gespräch zu bringen bzw. ihre Sprachkompetenz weiter zu veredeln.
Glaubenszukunft
Die Präsenzfähigkeit des christlichen Glaubens hängt zukünftig wesentlich von der Sprachfähigkeit derer ab, die den Glauben der Christen authentisch als ihren Glauben hörenswert auch für „Außenstehende“ mitteilen.
Gemeint sind hier primär nicht die Verkünder und Verkünderinnen, die in Gottesdiensten verkünden; nicht die Erzähler, die vom Glauben (anderer) erzählen; keine Missionare, die zum Heil führen wollen; und auch nicht die Berichterstatter, die aus neutraler Distanz von Katholikentagen oder Ähnlichem berichten.
Gemeint sind hier, in die Zukunft geschaut, heute primär junge Menschen, die engagiert, mit Verstand und Herz, und in der Sache klar in verstehbarer Sprache ihren Glauben weitererzählen. Das will gelernt sein!
Doch wo können heute junge Menschen lernen, mit Lust über ihren Glauben zu sprechen und sich auch noch weiter fit machen zu lassen in einer an–sprechenden Weitergabe des Glaubens? Darauf gibt es nur eine Antwort: Lernorte schaffen, sie aber von den „Lernbegeisterten“ einrichten zu lassen!
Sprich Kirchenzukunft
Auch die zukunftsfähige „Darreichungsform“ unserer Kirche wird vom Hören geprägt sein müssen. Hören, miteinander auf die Botschaft Jesu und deren jüngste Gemeinde. Hören aber auch aufeinander heute, auf die Erfahrungen, die Menschen mit Glaube und Kirche gemacht haben, und auf die Hoffnungen, die Jesu Botschaft binnenkirchlich wie außerhalb eröffnen. Anders werden wir die grundlegenden Veränderungen, die sich teils schon lange angekündigt haben, nicht gestalten können. Ohne zu hören wird unsere abtretende Kirche die Reste ihrer selbst, uns, vor sich her treiben in die Unaussprechbarkeit. Im Miteinander als Kirche darf Folgendes positiv nicht unterschätzt werden: „Die Sprache kommt vor der Tat“[17]
Konkret: Hören auf die Ereignisse die uns u.a. von Paulus über die jungen Gemeinden erzählt werden. Aufeinander hören: Generationen, Priester und Laien, die unterschiedlichen Hierarchien, Ehrenamt und Hauptamt, das Organisierte und das Unorganisierte in einer Gemeinde, die strukturierte und „unstrukturierte“ Kirche. Hören auf das, was Glaubende mit Verstand und Herz durch die Zeit in Worte gefasst haben. Auf die jüngste christliche Gemeinde bezogen wäre ein kleines Hörerlebnis die Story von „Phöbe“, Dienerin/Diakonin der Gemeinde in Kenchreä heute sehr spannend. Sie haben sicher von ihr schon gehört (Röm 16,1 ff.).
Schaffen
Konkrete Lernorte des Sprechens schaffen für junge Menschen, ihren Lebenssituationen entsprechend, die:
- das Glück gehabt haben in ihrer bisherigen Biographie Menschen begegnet zu sein, die ihnen vom Glauben erzählt haben, und die so nachvollziehen können, vor dem Hintergrund der eigenen Biographie, wie wichtig es ist, vom Glauben gehört zu haben – die eigene Entwicklung betreffend[18];
- Lust haben, über ihrem Glauben mehr zu erfahren, wie z.B. von Christologie und Soteriologie, vom Schöpfungsglauben und der christlichen Freiheit, von Sprachbildern und ihrer Deutung aus dem entsprechenden Kontext, von der Intention der Wundererzählungen und Gleichnisse Jesu in Neuen Testament, von den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der verschiedenen christlichen Bekenntnisse, und von Fachbegriffen wie Theodizee, Heiligkeit, Erbsünde und Sakramente …;
- gelassen werden können in dem Wissen, nicht das ganze Depositum unseres Glaubens ad hoc „verstehen“ und annehmen (glauben) zu müssen, sondern die sich selber (im Älterwerden) immer weiter dem Glaubensgut des Christentums annähern dürfen (ohne als defizitär bezeichnet zu werden), auch mit allen möglichen Fragen, Zweifeln und Unverständnis;
- sich als Getaufte und gefirmte Christinnen und Christen auch in ihren kritischen Bemerkungen ernst nehmen (lassen), ihre Sprachkompetenz im Umgang auch mit Gleichaltrigen weiter veredeln und sich nicht beeindrucken lassen von (verletzenden) Allgemeinplätzen der Öffentlichkeit gegen Kirche und Glaube;
- sich einlassen können auf ein Mentoring, basierend auf dem Prinzip der Weitergabe des Glauben aus der Tradition in die Gegenwart, als Erzählgemeinschaft, in der wechselseitig Erzählende zu Hörenden und Hörende zu Erzählenden werden.
Befähigen
- Gemeinden könnten Sprachbefähigung aus dem Glauben zum Schwerpunkt machen.
- Die Vorbereitung auf die Kinderkommunion kann die Grundlage der weitergehenden Sprachbefähigung bilden.
- Die Firmung mit 18-20 Jahren könnte auch als begeisterte Sendung der/des Sprachbefähigten (nach der „Lehre“) gelten.
- Gerade die Wortgottesfeiern in Gemeinden verfügen über „Worträume“, die die Versammelten als Erzählgemeinschaft stärken können.
- Die universitäre wie auch außeruniversitäre (Mentorate) Qualifikation angehender Religionslehrer sollte wesentlich auf diese Sprachbefähigung als persönliche Kompetenz abheben.
- In der Ausbildung der pastoralen Berufe muss die Sprachbefähigung Auszubildender fachlich verankert werden sowie die Befähigung zukünftig Anvertrauter durch die Auszubildenden.
- Kirchliche Praktika im Kontext von pastoraler Ausbildung bieten eine besondere Chance, Lernfelder der Sprachbefähigung zu sein.
- Öffentliche Orte wie große Räume, Museen (besonders Museen in kirchlicher Obhut), Wegekreuze, Kapellen und Bildstöcke, Gedenkstätten, Denkmäler, Sportstadien, Friedhöfe usw. können als unkonventionelle Lernorte zur Sprachbefähigung eingesetzt werden.
- Hochschul– und Studierendengemeinden sollten als ihre Kernkompetenz die Sprachbefähigung von christlichen Studierenden, gerade auch im Dialog mit anderen Religionen, vorhalten
Schluss
Bei aller dringend notwendigen Sprachbefähigung darf eines nicht unausgesprochen bleiben, was Willi Bruners so auf den Punkt bringt:
Ein – silbig
wenn ich dich
anspreche
werde icheinsilbig
GOTT
DU
KOMM[19]
Anmerkungen:
1 Karl Rahner stellt fest: „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein, weil die Frömmigkeit von morgen nicht mehr durch die im voraus zu einer personalen Erfahrung und Entscheidung einstimmige, selbstverständliche öffentliche Überzeugung und religiöse Sitte aller mitgetragen wird, die bisher übliche religiöse Erziehung also nur noch eine sehr sekundäre Dressur für das religiöse Institutionelle sein kann.“ Aus: K. Rahner, Zur Theologie und Spiritualität der Pfarrseelsorge, in: Schriften zur Theologie XIV, 1980, S. 161
2 Die neue „Erhebung über Kirchenmitgliedschaft“, durchgeführt von der TNS Emnid 2014, beauftragt von der EKD. Die SINUS-Jugendstudien von
2008, 2012 und die von 2016 mit dem Titel „Wie ticken Jugendliche“. Die 17. Shell Jugendstudie von 2015. Die empirische Untersuchung über „Berufswahlmotive bei Theologiestudierenden mit dem Studienziel Religionslehrer/Religionslehrerin“, durchgeführt vom IQ, Institut für Qualitative
Bildungsforschung Bonn 2013, im Auftrag der Schulabteilungen der Erzdiözese Köln und der Diözese Aachen.
3 https://www.domradio.de/themen/glaube/2016-03-23/jeder-zweite-glaubt-gott
4 Die Welt (online), http://www.welt.de/politik/deutschland/article125486308/Deutsche-verlieren-ihren-Glauben-an-Gott.html
5 Röm 10,17; vgl. 1 Thess 2,13; Gal 3,2; Hebr 4,2; Joh 5,24; 12,38
6 Glaube ist immer auch mit aus ihm resultierenden Taten zu verbinden, die als Zeugnis des Glaubens glaubensferne Menschen ansprechen können und zum Weiterdenken anregen können. Allerdings geht auch der christlich motivierten Tat das gehörte Wort der Verkündigung voraus.
7 Knauer, Peter, Der Glaube kommt vom Hören. Ökumenische Fundamentaltheologie. Freiburg 1991, S.15.
8 A. a. O., S.15.
9 A. a. O., S.15.
10 Amtsblatt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen Teil 1 Nr. 9/99. S. 15.
11 Mentorate sind Einrichtungen, die hier für angehende Religionslehrer/Religionslehrerinnen vom Bischof eingerichtet den Studierenden der Theologie helfen sollen, die Lehre mit dem persönlichen Glauben so zu verbinden, das daraus auch eine authentische Sprachfähigkeit erwächst.
12 A. a. O., S. 6.
13 A. a. O., S.13.
14 A. a. O., S. 9.
15 Gemeindemission ist ein offenes Angebot, verortet und verantwortet in einer Gemeinde, oft durchgeführt von Ordensmännern oder Ordensfrauen, die als Gäste in Predigt und Gespräch den Glauben zu Wort kommen lassen. Ihr Ziel ist es, dem persönlichen Glauben des einzelnen und dem Glaubensleben der Gemeinden Wachstumsimpulse zu geben.
16Die Welt (online), http://www.welt.de/politik/deutschland/article125486308/Deutsche-verlieren-ihren-Glauben-an-Gott.html
17 http://www.faz.net/fluechtlingspolitik-die-sprache-kommt-haeufig-vor-der-tat-14233223.html (15.06.2016).
18 An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass eine biografi sch orientierte, vernünftige und emotional nicht unmusikalische Weitergabe des Glaubens und die Auseinandersetzung mit ihm wichtig sein kann für die Persönlichkeitsbildung eines jungen Menschen und identitätsstiftend.
19 Bruners, Wilhelm, Ein – silbig, in: R. Seitz und E. Schuster, Festgenagelt, Ein Kreuzweg. Ostfi ldern 1994, S. 8.
Erschienen in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück. J.P. Bachem Verlag GmbH. September 9/2016